6. Artikelsbrief und Eid

Die Artikelsbriefe sind aus der Notwendigkeit entstanden, den geworbenen Knechten bestimmte Vorschriften zu geben, die in den
buntgemischten, unruhigen Verbänden Zucht und Ordnung aufrecht erhalten sollten. Die Artikelsbriefe waren schon zu Beginn
unseres Jahrhunderts Gegenstand eingehender Untersuchungen, und dabei sind besonders der Beitrag von Wilhelm Erben sowie das
grundlegende Werk von Wilhelm Beck zu beachten.

Die Wurzeln der Artikelsbriefe liegen in den Landfriedensgesetzen des Mittelalters, in denen, wie im Regensburger Landfrieden
vom Jahre 1244, das Friedgebot für Klöster, Kirchen und Mühlen enthalten ist, oder die Bestimmungen über Verräterei, die den
deutschen Rechtespiegeln entlehnt wurden .

Als weitere Vorläufer sind die Soldverträge der Städte und Städtebünde anzusehen, mit denen diese Ritter und Knechte in ihre
Dienste nahmen, um sich gegen die unaufhörlichen Überfälle und Räubereien zu schätzen. Ende des 15. Jahrhunderts erließen dann
die Feldherren ‚Feld- und Lagerordnungen‘, sozusagen Polizeiverordnungen, die das Leben im Lager und auf dem Zuge regelten.
Sehr bekannt wurden die Ordnungen des Kurfürsten Albrecht Achilles von Brandenburg von 1458 und 1462 sowie seine Heeresordnung
für den Türkenzug von 1486.

Auch aus den Bestellbriefen des 15. Jahrhunderts sind Bestimmungen in die späteren Artikelsbriefe übernommen worden, wie das
Anrecht an der Beute und Anordnungen für die Gefangenen oder das Verhalten bei einem Rumor oder Auflauf sowie die
Verpflichtung zur Schonung des eigenen oder befreundeten Landes.

Diese Ordnungen erhielten um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert die Bezeichnung ‚Artikelsbrief’, ein Name, der übrigens
vorübergehend auch für andere, nicht heeresrechtliche Quellen verwendet wurde, sofern es sich um reversartige Grundgesetze
handelte, die wegen Ihres Umfanges in einzelne Abschnitte, eben die Artikel, eingeteilt waren.

Das Wort selbst findet sich seit Beginn des 16. Jahrhunderts in den Quellen und zwar bei den Kriegsvorbereitungen des
Schwäbischen Bundes Im Frühjahr 1519 gegen Württemberg „Kriegsordnung fürzunehmen und darin Fürsehung zu tun… Und den
obersten Hauptmann über den ganzen Haufen den gemeinen Artikelsbrief, der Kriegsleut Ordnung, verlesen, dieselbigen zu halten,
darauf den Eid schwören“. Es mußten also die Knechte auch bereits einen Eid leisten, und damit sind die beiden
Entstehungskomponenten der Artikelsbriefe klar ersichtlich: Zusammenfassung von Eid und Feldordnung.‘

Die Artikel wurden stets nur für einen einzelnen Feldzug aufgestellt und hatten nur für diesen Geltung. Bei einem neuen Krieg
wurden sie wieder hervorgeholt, Uberprüft, und gemäß der neuen Voraussetzung und Situation einzelne Punkte abgeändert, ergänzt
und neu aufgenommen. Später bildete dann der Artikelsbrief stets eine Beilage zur Bestallung des Obersten. Auszüge daraus
erhielten die Hauptleute schon vor der Werbung, um am Werbeplatz die nötigsten Bedingungen, vor allem die Soldbeträge und die
Dienstdauer bekanntgeben zu können. Es trat auch bald die Notwendigkeit ein, von den Knechten schon bei der Anwerbung einen
vorläufigen Artikelsbrief beschwören zu lassen, um Ausschreitungen bis zum Eintreffen am Musterungsplatz und dem Beschwören
des endgültigen Artikelsbriefes möglichst zu verhindern.

Auf einen grundsätzlichen Unterschied zwischen den oberdeutschen und den schweizerischen Vorschriften sei jedoch hingewiesen.
Das Verbot der Bildung der Gemeinde, des Zusammentrittes der Knechte, ohne Wissen und Willen des Obersten. Natürlich wurde
dieses Verbot immer wieder übertreten, um Forderungen gegen die Vorgesetzten durchzudrücken. Die Bildung der Gemeinde wurde
von den Schweizern mit ihrer demokratischen Tradition übernommen und auch ein anderer, grausamer Kriegsbrauch, nämlich die
Gefangenen einfach totzuschlagen oder zu erstechen. In den Beratungspunkten des Kurfürstentages von Gelnhausen im Jahre 1502
wird darauf hingewiesen, „daß dies gegen den alten, löblichen, im Reich hergekommenen Brauch verstoße und daß solchem
mörderisch unchristlichen Wesen entgegengetreten werden solle“.

Wie erwähnt, wurden die Artikelsbriefe jeweils nur für einen Feldzug aufgestellt, und es erhebt sich die Frage, ob es solche
und ab wann es sie mit allgemeiner Reichsgeltung gab. Erben vertritt die Ansicht, daß erst mit Maximilians Il. auf dem
Speyerer Reichstag von 1570 verkündeten ‘74 Articul auf die deutschen Knecht‘ von einem Reichsgesetz für die Landsknechte
gesprochen werden kann.

Wenn nun alle Fähnlein gemustert waren, so ließ der Oberst, der selbstverständlich zu Pferd war, die Landsknechte um sich
einen Ring bilden, gebot Stille und hielt eine kurze Ansprache, in der er ihnen ans Herz legte, daß der Kriegsherr sie zur
Rettung und zum Schutz seines Landes und seiner Leute brauche, und forderte sie auf, dem Fürsten treu zu dienen und die
Artikel stets zu halten. Die Artikel selbst wurden von dem Schreiber verlesen und enthielten ungefähr folgende Bestimmungen:

Die Landsknechte sollen schwören, dem Fürsten, dem obersten Feldhauptmann und ihrem Feldobristen treulich zu dienen, ihren
Schaden zu wenden und ihr Frommen zu fördern, allen von dem Obristen bestellten Hauptleuten, Fähnrichen, Weibeln und
Befehlshabern ohne Wlderrede gehorsam zu sein in allem, was sie ihnen befehlen und anordnen. Sie sollen nicht meutern, sondern
sich gebrauchen lassen auf dem Marsch zu oder von den Feinden, auf Zügen oder Wachten, zu Wasser und zu Lande, bei Tag und bei
Nacht, je nachdem es notwendig sei. Sie sollten sich enthalten, Gott und Heilige zu lästern, sich auch verpflichten, Frauen,
alte Leute, Kinder und Geistliche nicht zu schädigen, und auch auf den Märschen nicht die Kirchen zu plündern. Sie sind
verpflichtet, dreißig Tage für einen Monat zu dienen bei einem Sold von v i e r rheinischen Gulden, und auch Geduld zu haben,
wenn sich die Auszahlung bis zu einem halben Monat verzögert, und daraus kein Recht herleiten, Wach- oder Kriegsdienst zu
verweigern. Wer ohne seinen Sold abgedient zu haben und ohne Erlaubnis des Obersten das Fähnlein verläßt, soll ehrlos sein und
an Leib und Leben gestraft werden. Wer bei den Zügen ohne ernstlichen Grund aus der Reihe trete und sich weigere, den
Anordnungen der Vorgesetzten zu gehorchen, dürfe ohne weiteres niedergestoßen werden. Nach einer gewonnenen Feldschlacht wird
der laufende Monat als voll angesehen, und mit dem nächsten Tag beginnt ein neuer Soldmonat. Bei Todesstrafe dürfe niemand in
einer durch Vertrag eingenommenen Ortschaft plündern. Wer in der Schlacht die Flucht ergreift, darf straflos getötet werden,
und wer einen solchen Feigling niederstoßen verdiene noch großen Dank. Sie dürfen ohne Erlaubnis des Obristen keine Gemeinde
veranstalten und mit dem Feind auf keine Weise ohne besondere Erlaubnis weder schriftlich noch mündlich verhandeln. Wer Verrat
eines anderen Landsknechtes anzeigt, bekommt dafür mindestens einen Monatssold und großen Dank, der Verräter aber wird dem
Gericht übergeben. Wenn es zu Schlägereien kommt, sollen die Umstehenden dreimal Frieden gebieten. Wer dem nicht nachkomme,
dürfe straflos niedergestoßen werden. Der Todesstrafe verfalle, wer nach gebotenem Frieden einen anderen verwunde. Im
Freundesland dürfe niemand etwas mit Gewalt und ohne Bezahlung wegnehmen oder beschädigen. Bei Proviantzuführung dürfe niemand
davon etwas erwerben, bevor nicht der Preis festgesetzt sei, sondern müsse abwarten, bis der Proviant auf dem vom Profoß
bestimmten Platz zum Verkauf gestellt und der Preis bestimmt sei. Keiner dürfe sich bei zwei Hauptleuten einschreiben oder
doppelt mustern lassen oder einem anderen seine Waffen und seinen Harnisch leihen, damit dieser sich damit mustern lasse. Wer
das tue, verfalle der Todesstrafe. Verboten wird das Brandschatzen, Brennen oder Lageranzünden ohne Befehl, das Alarmieren
ohne Anlaß, die Zerstörung von Mühlen oder Mühlwerken, sowie jeder Eingriff in die Rechte und Freiheiten der Scharfrichter. Es
darf nicht weiter gespielt werden, als der Gegner mit barem Geld zahlen kann, Spielschulden über die Höhe des Solds hinaus
sind überhaupt ungültig. Ein jeder soll sich des Zutrinkens und anderer Laster enthalten. Mißhandlungen in Volltrunkenheit
sollen an Leib und Leben gestraft werden und die Trunkenheit kein Entschuldigungs- oder Milderungsgrund sein. Der Eid ist auf
sechs Monate zu leisten, und die Knechte müssen, wenn es nötig ist, auch darüber hinaus dienen. Was einer vom Feind erbeute,
gehöre ihm, außer Geschütz, Pulver, Proviant und Zeughäuser. Niemand darf, ohne schwach oder krank zu sein, zum Troß gehen.
Als Feldabzeichen soll jeder ein aufgenähtes rotes Kreuz und über dem Harnisch eine rote Binde tragen. Wer die verlesenen
Artikel nicht halte, solle als eidbrüchig vom Obersten gestraft werden, und an die Artikel sind auch die im Heer Dienenden
gebunden, die bei der Eidleistung zufällig nicht anwesend waren. Wenn ein Knecht den einen oder anderen Artikel nicht
verstünde oder ihn vergessen habe, dann solle er zum Schultheiß gehen und von ihm Auskunft und Aufklärung verlangen. Alle, die
etwa von den Feinden gefangen und von diesen gezwungen wurden, zu geloben, daß sie dem Kriegsherrn nicht mehr dienen wollten,
sind im voraus von ihrem Eid entbunden.

Als besonders interessant darf dabei gelten, daß auch die Knechte an den Artikelbrief gebunden sind, die bei der Verlesung und
der darauf folgenden Eidesleistung nicht anwesend waren. Dies zeigt, daß die Existenz einer geschriebenen Rechtsordnung und
die Verpflichtung a l l e r darauf die Grundforderung zur Ausrichtung des Verbandes auf seine zukünftige militärische Aufgabe
war.

Naturgemäß weichen nach Inhalt und Form die Artikelsbriefe bei den verschiedenen Kriegsherren und im Laufe der Zeit
voneinander ab. Zwei solche Briefe sind als Beilagen angeführt, der eine ist Kaiser Maximilians Artikelsbrief vom Jahre 1508
und der andere bei Fronsperger Ein Vergleich dieser beiden veranschaulicht auch die Entwicklung der Artikelsbriefe In der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.

Dabei ist auffällig, daß im ersten Artikelsbrief ausschließlich Pflichten und Verbote der Knechte festgelegt werden und zum
Beispiel über die Besoldung, die im Artikel VII des zweiten Briefes ausführlich geregelt ist, überhaupt nichts aufscheint.
Auch über die Dienstzeit oder die Beute (Artikel XL) wird im ersten Brief nicht gesprochen.

Es ist offenbar, daß in dem bei Fronsperger aufscheinenden Artikelbrief die Erfahrung vieler Kriegszüge, und Kriegsjahre ihren
Niederschlag und Ausdruck gefunden hat und ein Praktiker daraus spricht, der selbst als Schultheiß an einigen Feldzügen
teilgenommen hat. Aus dieser Praxis ist auch die Kennzeichnung der eigenen Leute mit einem roten Kreuz (Artikel XLV) zu
erklären, die bei Maximilian noch nicht erwähnt Ist. Eine solche Unterscheidung ist aber Im Schlachtgetümmel eine unbedingte
Notwendigkeit.

Die Artikelsbriefe, aus denen die späteren Kriegsartikel geworden sind, sind Dokumente von größter kulturgeschichtlicher
Bedeutung.

Verlesung des Artikelsbriefes und Vereidigung

Nach der Verlesung des Artikelsbriefes wurde auch der Eid in der Versammlungsform der Einheit, dem Ring, geleistet und von
einem fahrenden Amtsträger, dem fürstlichen Kommissar, dem Obersten oder auch dem Schultheiß entgegengenommen. Die äußere Form
ist nicht einheitlich, entweder mit zwei oder mit drei Schwurfingern. Der Wortlaut selbst lautet nach Delbrück: „Wie mir
vorgelesen ist, und ich mit worten wol verstanden und bescheiden bin, das war, fest und stät zu halten, und dem getreuwlich
und ungefehrlich nachzukommen, als schwer und gelob ich, als mir Gott helff und das heilig Evangelium“.

Ab jetzt war der Eid für alle Personen des Regimentes, einschließlich der Marketender, der Sudler (Köche), der ehelichen und
nichtehelichen Soldatenweiber, der eventuellen Dienstboten und eidesfähigen Knaben verbindlich. Ausgenommen war nur der
Oberst, denn sein Rechtsverhältnis wurde durch die vom Kriegsherrn ausgestellte Bestallung begründet.

Mit der Verlesung des Artikelsbriefes und der Leistung des Eides erreichte die Übernahme des Knechts in den Verband ihren
Abschluß.